von Claudia Rabl
Der zu frühe freie Blick des kleinen Kindes in die Welt
In den Städten und auch auf dem Land hat sich das Straßenbild verändert. Neben Erwachsenengesichtern die uns begegnen, schauen wir immer mehr in Kleinkinder, ja sogar Säuglingsgesichter. Was ist passiert?
Der Kinderwagen hat sich gedreht. Für uns eigentlich eine erfreuliche Bereicherung im Straßen- und Fußgängeralltag in die lieben, kleinen Gesichter zu schauen. Noch vor einigen Jahren war es doch so, wollte man das kleine Kind näher betrachten, musste man sich quasi zwischen Mutter und Kinderwagen zwängen, um das Kind anzuschauen.
Ist es denn nun auch für das kleine Kind so angenehm in die Fahrtrichtung in die Welt hinausgeschoben zu werden? Die Welt des kleinen Kindes wird ja ganz durch seine Bezugsperson erlebt. Speziell durch die Seele der Mutter. Alles was das Kind durch die Sinne (Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut) aufnimmt, ist maßgeblich an der Bildung eines gesunden Körpers mit kräftigen Organen beteiligt. Die Eltern haben die Verantwortung das Kind vor schädlichen Sinneseinflüssen zu schützen. Alle Erlebnisse wie: Angst, Schreck, Freude, usw. sind in diesem Kleinkindalter gleichzusetzen mit Nahrung. Mit seelischer Nahrung. Wird das Kind nun in Fahrtrichtung geschoben, kann es nicht in das Gesicht von Vater oder Mutter schauen, das ihm Vertrauen schenkt und die Gewissheit, dass einer von beiden da ist, wenn es sich unbewusst einsam fühlt. Diese Phase dauert bis in das 3. Lebensjahr hinein.
So schauen die Kinder von Mutter oder Vater abgewandt, den Schnuller im Mund und mit Figuren aus der TV Sendung Sesamstraße in den Händen, auf vorbeifahrende Autos, auf ihn zukommende Menschenmassen, auf Hundebeine, Bäume, Sträucher, Häuserwände, Werbeplakate. Alles erscheint aus der Kinderwagenperspektive riesengroß und sich schnell vorbeibewegend. Das Kind ist nicht in der Lage sich mit einem Eindruck zu verbinden, es darf keine Ruhe und keine Zeit mehr haben, von Auspuffgasen ganz zu schweigen. Die Mutter oder der Vater auf der anderen Seite bemerken nicht, ob ihr Kind Angst hat oder müde ist, ob es vielleicht über einen Eindruck erschrocken ist oder vor sich hin jammert. Das Dach des Kinderwagens das das kleine Kind vor Regen und Wind schützt, schirmt den unmittelbaren Kontakt mit den Eltern doppelt ab ...
Wie kann ein Kind, das in Fahrtrichtung geschoben wir, all die vielen, schnellen, bunten Sinneseindrücke "verdauen"? Es besteht dadurch die große Gefahr, dass solche Kinder der Umgebung gegenüber kraftlos, gleichgültig werden, abgestumpft und für alles in der Welt kein Interesse mehr haben. Im Gegenteil – sie brauchen ständig neue Reize ohne sich mit den Reizen verbinden zu können... Warum gönnen wir unseren kleinen Kindern nicht mehr den Anblick von Mutter oder Vater während einer Kinderwagenfahrt? Warum hat sich der Kinderwagen gedreht? Wollen wir auf diese Weise "Freiheit" demonstrieren? Warum können wir nicht warten bis das Kind selbst entscheidet in welche Richtung es schauen möchte und sich dann ohne Schaden zu nehmen, abwendet?
Dieter Walbaum, Barbara Eppelsheimer, Quelle: Erziehungskunst, nach einem Text von Elisabeth Herbsthofer
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